Was ist das Besondere an Besonderen Merkmalen?

Diese und viele weitere Fragen beantwortet Dr. Uwe-Klaus Jarosch (Senior Experte für QM-Methoden und Tools im Globalen Qualitätsmanagement der Benteler Automobiltechnik GmbH, Paderborn) beim 14. FMEA-Forum am 27./28. März 2019. Einen Einblick in das Thema gibt er mit diesem Gastbeitrag in unserem FMEA-Blog.

Besondere Merkmale (BM) sind ein steter Aufreger im Unternehmen. Oft kann man zwei Fraktionen beobachten. Die eine Fraktion befürwortet BM und möchte sie nutzen, um das Ergebnis zum Kunden bestmöglich abzusichern. Die andere vermeidet BM wo immer möglich. Bei der Frage, wie ein vernünftiger Ausgleich dieser Extrem­posi­tionen aussehen kann, steht die Sinnhaftigkeit von Fest­le­gungen und Entscheidungen im Fokus. Was ist not­wendig, um das Risiko für das Unternehmen zu beherrschen ohne die Wettbewerbsfähigkeit zu verlieren? Was sind die berechtigten Anforderungen an BM und was ist überhaupt das Besondere an einem Besonderen Merkmal?

Technologie bestimmt Besondere Merkmale


Besondere Merkmale sind ein Qualitätsthema. Schließlich wird ihre Festlegung und Verfolgung nicht in Technik-, sondern in Qualitätsnormen gefordert. Die Frage nach der Sinnhaftigkeit wird dabei nicht gestellt, sondern als gegeben vorausgesetzt. Der VDA nennt in seiner Beschreibungen zur Abgrenzung von Besonderen Merkmale zu normalen Merkmalen zwei wichtige Punkte:

  1. Nicht jedes Merkmal ist ein besonderes Merkmal.
  2. Besondere Merkmale werden als Produkt- und Prozessmerkmale benötigt.

FMEA als Entscheidungsmethode für Besondere Merkmale?


Ein Lösungsweg ist die Festlegung von BM durch die FMEA. Dieser Zusammenhang ist bei vielen Unternehmen als Teil des FMEA-Standards beschrieben. Einige fordern intern und von ihren Zulieferern, BM aus der FMEA abzuleiten. Die genaue Betrachtung, wie bei einer FMEA vorgegangen wird, soll hier nicht näher erläutert werden. Stattdessen schauen wir direkt auf die möglichen Ergebnisse einer FMEA zur Festlegung der BM:

  1. Wird nur aufgrund der Bedeutung entschieden, so gibt es wichtige und kritische Merkmale, und das über alle Ebenen vom System bis zum Prozessparameter.
  2. Mit der Bewertung des Auftretens wird entschieden, ob es nicht mehr nötig ist, ein Merkmal und den möglichen Fehler als BM zu führen. Hier ist nicht mehr die Festlegung der Treiber, sondern die Reaktion.

Die Bedeutung eines Merkmals ist eine notwendige und wesentliche Information, um Besondere Merkmale sinnvoll festlegen zu können.

Technologische Kriterien


Besondere Merkmale machen deutlich, worauf der Kunde besonderen Wert legt. Dies kann sowohl subjektive Erwartungen betreffen als auch objektive Anforderungen. Spätestens wenn die techni­schen, die haptischen und die visuellen Anforder­ungen so festgeschrieben werden, dass sie bewertbar und repro­duzierbar sind, sprechen wir über techno­logisches Know-how.

Technologen kennen die Zu­sammenhänge zwischen Ur­sach und Wirkung. Sie können aus Erfahrung oder mit Hilfe statistischer Bewertungen vorliegender Daten zwei zentralen Fragen beant­worten:

  1. Was wirkt mit auf das Ergebnis ein?
  2. Wie stark ist der Einfluss?

Von jeder Ursache lässt sich ermitteln, ob ihre Wirkung groß oder klein, reproduzierbar oder eher zufällig ist. Wenn der funktionale Zusam­men­hang von Ursache und Wirkung wesentlich für die Funktion und eindeutig ist, dann ist diese Ursache ein Haupt­merkmal und damit durch eine technologische Beson­der­heit begründet. Und nur wenn die Folge eine besondere ist, wird aus dem Merkmal ein Hauptmerkmal.
Nur ein Hauptmerkmale kann ein Beson­deres Merkmal werden.

Als dritter Faktor spielt eine Rolle, ob überhaupt vom Kunden Besondere Merkmale verlangt werden. Wenn dies nicht der Fall ist, kann der Lieferant seinerseits BM festlegen, muss aber nicht. Daher ist eine dritte Bedingung:
Besondere Merkmale habe in übergeordneten Ebenen ein Besonderes Merkmal zu erfüllen.

Wie fähig muss ein Besonderes Merkmal sein?


Sowohl bei den Produkt- als auch bei den Prozessmerkmal­en ist es die Arbeit wert, mit den Entwicklern die Haupt­merkmale zu bestimmen. Zumindest für diese Haupt­merkmale muss geklärt werden, welche Qualitäts­an­forderungen sie erfüllen müs­sen:

  • Null Fehler
  • Fähig mit cpk-Wert ≥1,33
  • Reproduzierbar, cp ≥1
  • Lehrengängig
  • freigegeben für die Fertigung

    Durch solche Qualitätsklassen lässt sich der Aufwand für die nächste Ebene gegenüber einer fläch­en­deckenden cpk-Forder­ung massiv senken ohne das Ergebnis zu gefährden. Die Kosten für Besondere Merkmale werden sinken, die Akzeptanz von Besonderen Merkmalen wird steigen.

    Hilfe durch Standards


    Es ist ein nicht unerheblicher Aufwand, die Ursache-Wirkungs-Beziehung­en aus der Design- und der Prozess-FMEA technologisch nach Haupt- und Normal-Merkmalen zu unter­scheiden. Auch die qualifizierte Zu­weis­ung von Qualitäts­klassen bedeutet Aufwand. Aber dieser Aufwand lässt sich für wiederkehrende Themen und Prozessschritte standar­disieren. Eine Möglichkeit von Standards sind aufgeschrie­bene Regelwerke ähnlich den ISO und DIN Normen.

    Im Betriebsalltag näher an der Anwendung sind Standard-FMEAs. Diese FMEAs können den Rang einer Norm im Unternehmen erhalten und technologische Festlegungen im Unternehmen verbindlich abbilden. In der Produkt­entwicklung bieten sich Stan­dard­-FMEAs für Produktfamilien an. Für die Prozessplanung können einzelne Prozess­schritte oder auch ganze Pro­duktions­abläufe so beschrieben werden.

    Dr. Uwe-Klaus Jarosch ist Senior Experte für QM-Methoden und Tools im Globalen Qualitäts­manage­ment der Benteler Automobiltechnik GmbH, Paderborn. In den FMEA-Infos und -Tipps in unserem FMEA Thinktank beschreibt er ein Beispiel entlang einer konkreten Aufgabenstellung zu Besonderen Merkmalen.